Frühschicht in Esslingen

An einem kalten Morgen des Jahres 1990 verlasse ich um 3.18 Uhr unsere Wohnung in Esslingen und fahre mit dem Auto ins Bw nach Plochingen. Es ist 3.38 Uhr als ich mich auf der Lokleitung zum Dienst melde. Dort erfahre ich vom Lokleiter daß die "Esslinger Lok", heute die auf Gleis 666 abgestellte 360 789-5 ist. Also, auf nach Gleis 666 zur Lok.
Vorbereitungsdienst
Das Kabel für den Stromanschluss entfernen und verstauen, die Sifa einschalten und schon geht es in das Führerhaus, dort schalte ich die Führerstandsbeleuchtung ein, schalte das Vorwärm- und Warmhaltegerät auf Vorwärmen, schaue, ob die Handbremse angezogen ist, ob die Getriebesperre in Stellung Turbo aus steht und die Batteriespannung o.k. ist. Jetzt schalte ich den Führerstandshauptschalter ein und schaue nach der Kühlwassertemperatur und dem Kühlwasserstand alles o.k., verlege den Richtungsschalter in die Richtung die mir der Leuchtmelder anzeigt. Und schon kann der Motor gestartet werden.
Nun bringe ich das Führerbremsventil das ich nachher zum Fahren brauche in Fahrtstellung, schon ist deutlich zu hören das sich die Hauptluftleitung füllt. Das Blatt für den Fahrtenschreiber und den Indusistreifen beschriften sowie die benötigten Fahrplanunterlagen herrichten. Ich schaue nach dem Kraftstoffvorrat und ob genügend Sand vorhanden ist. Inzwischen ist der Hauptluftbehälterdruck auf 5 bar angestiegen, so daß ich die Bremsen durchchecken und anschließend die Handbremse lösen kann. Spitzensignal einschalten, Zugbahnfunkgerät einschalten und auf Richtigen Kanal einstellen, Getriebesperre in Stellung "Turbo ein" bringen, die Zusatzbremse lösen und ein wenig Leistung aufschalten, gleich wieder abschalten, so daß die Lok ganz langsam rollt, mit der Zusatzbremse die Lok wieder anhalten funktioniert auch und ich kann beim Fahrdienst " Die Esslinger Lok zum Güterbahnhof abfahrbereit" melden.
Aus dem Bw ausrücken
Das Gleisspersignal Richtung Güterbahnhof zeigt Sh 1 und ich fahre langsam los denn am Indusiprüfmagnet gibt es eine Zwangsbremsung zum Testen der Indusi, Bremse durchziehen und "Indusi frei" betätigen, Bremse wieder in Fahrtstellung bringen und warten bis der Haupluftleitungsdruck wieder 5 Bar ist. Weiter gehts, auf dem Weg in den Güterbahnhof zum Zug teste ich noch wie vorgeschrieben die Sifa.
Es ist 4 Uhr als ich im Güterbahnhof ankomme und kurz vor dem bereitstehenden Güterzug anhalte. Schon kommt der Rangierer übergibt mir die Zugpapiere und den Bremszettel, gibt mir den Rangierfunkkanal bekannt, ich stelle diesen ein und wir testen die Verständigung. Er ist schon wieder von der Lok runter als er mich über Rangierfunk zum aufdrücken auffordert. Ich drücke auf, er kuppellt den Zug. Als er den Luftabsperrhahn zum Zug öffnet sinkt der Druck in der Hauptluftleitung drastisch und schon machen sich die beiden Luftpresser bemerkbar es dauert eine ganze Weile, bis am ganzen Zug 5 Bar Hauptluftleitungsdruck erreicht sind. Wir machen eine Bremsprobe und warten auf den Rangierleiter und einen weiteren Rangierer. Als diese eingetroffen sind meldet der Rangierleiter dem Fahrdienst "68250 abfahrbereit".
68250 nach Esslingen
Kurz darauf (es inzwischen 4,37 Uhr) geht es los, volle Leistung, denn unser 68250 ist immer schwer, 1100 Tonnen sind zulässig, und hinter dem Bw geht es leicht bergauf, dann über die letzten Weichen des Bahnhofs Plochingen auf das Ferngleis. Kurz nach dem Haltepunkt Altbach sind 60 km/h erreicht und bis Esslingen geht es leicht bergab, so daß der Zug fast von alleine die 60 km/h hällt. Wir ruckeln mit 60 an mehreren SBKīs und Haltepunkten vorbei bis zum Einfahrvorsignal von Esslingen das Vr 2 zeigt. In der Ferne ist schon das Einfahrsignal zu erkennen es zeigt Hp 2 und Vr 0. Kurz vor dem E-Sig beginne ich zu bremsen denn wir müssen vor dem Zwischensignal (zeigt Hp 00) am Ende des Hausbahnsteiges zum stehen kommen. Hier endet unsere Zugfahrt und wir gehen in eine Rangierfahrt über. Kaum stehen wir, da schaltet das Signal auf Hp0 +Sh1 und wir fahren noch ganz in den Güterbahnhof. Inzwischen steigt wohlige Wärme vom Getriebe in das Führerhaus, jetzt im Frühling ein genuß, im Sommer aber wirdīs zu warm da macht man halt alle Türen und Fenster auf um wenigstens ein wenig Kühlung durch den Fahrtwind zu bekommen.
Örtlicher Rangierdienst
Ossi wartet im Rangierstellwerk schon auf uns und jetzt geht es daran den Zug zu zerlegen. Zum Glück hat der Rangierleiter in Plochingen mitgedacht und die Waggons für die Fernsehgeräte Fabrik im Industriegebiet die mit Bildröhren beladen und deshalb sehr empfindlich sind am Ende des Zuges eingestellt. Somit müssen diese nicht mehr umrangiert werden. Mit den anderen Waggons ziehen wir vor in das Ziehgleis und stoßen sie, sortiert nach Ziel (Bahnhof oder Industriegebiet) in andere Gleise ab. Ein Rangierer muß die Waggons mit Hemmschuhen so abbremsen daß sie ganz langsam auf die anderen auflaufen. Dabei werden die Waggons für das Industriegebiet natürlich schon in der Reihenfolge aufgestellt wie sie später zugestellt werden sollen.
Die restlichen Waggons für das Industriegebiet werden nun vorsichtig an die Wagons für die TV-Geräte Fabrik rangiert. Dann werden die Güterabfertigung (Expressgut) und eine Spedition am Bahnhof bedient. Anschließend stelle ich meine Lok vor der Rangiererbude ab.
Ossi, ein Original am Esslinger Bahnhof, ist abwechselnd mit einem Kollegen für die Bedienung des Rangierstellwerks und das schmieren der Weichen in den Bahnhöfen Esslingen und Obertürkheim zuständig, hat inzwischen Kaffee gekocht und wir machen Frühstückspause. Ein Rangierer muß bald wieder raus, denn zwei Nahverkehrszüge bestehend aus einer 110.er und mehreren Silberlingen müßen zur Rückfahrt umgesetzt werden. Nach einer gemütlichen Tasse Kaffee gehe ich wieder auf die 360-789-5, eine gutmütige, zuverlässige und vom Bw Kornwestheim gut im Schuß gehaltene Maschine. Erledige den Papierkrieg und starte den Motor denn schon kommt ein Rangierer der mit mir an den für das Industriegebiet bestimmte Zug fährt. Aufdrücken, kuppeln, warten bis die Hauptluftleitung wieder voll ist, einfache Bremsprobe und als der Rangierleiter und der andere Rangierer kommen melden wir uns beim Fahrdienst Zur Fahrt inīs Industriegebiet. Das Gleissperrsignal geht gleich darauf auf Sh 1, so daß wir langsam weiter bis zum Ausfahrtsignal am Hausbahnsteig vorziehen können. Ich bremse den Zug nur mit der Zusatzbremse.
Industriegebiet
Auf der 4 gleisigen Strecke ist um diese Zeit viel los und es dauert ein bischen bis sich der Fahrdienst mit den Worten "laßetīs laufe meldet" und das A-Sig Hp0 und Sh1 zeigt. Also, Zusatzbremse lösen und Volle Leistung aufschalten. Zügig kreuzen wir die Hauptstrecke und fahren in das Industriestammgleis. Als der letzte Waggon die letzte Weiche passiert hat schallte ich die Leistung ab und wir rollen gemütlich auf ein geschlossenes Tor zu. Kurz vor dem Tor bringe ich den Zug zum halten, damit ein Rangierer dies öffnen und nachdem wir es langsam passiert haben wieder schließen und auf den letzten Waggon aufsteigen kann. In Sichtweite ist schon ein Bahnübergang zu sehen vor dem wieder angehalten werden muß, damit dieser von einem Rangierer gesichert werden kann. Wir kreuzen die "Fritz-Müller Straße" und erreichen die "Insel", eine Ausweich und Sortierstelle mit den Industrieanschlüssen einer Spedition, eines Gaswerks und eines Pressenherstellers.

Vor der letzten Weiche der Insel halte ich an und es werden die nicht für den TV Geräte Hersteller bestimmten Waggons abgehängt. Dann geht es weiter, vorbei an zwei Anschlüssen und einem weiteren Bahnübergang der von einem Rangierer gesichert werden muß. Vor dem nächsten Bahnübergang bei der TV Geräte Fabrik bleiben wir stehen, denn der Rangierleiter muß erst mal klären gehen in welcher Reihenfolge die Waggons an welcher Rampe abgestellt werden sollen und ob alle dort stehenden Waggons abgezogen werden können.

Der Rangierleiter kommt mit guten Nachrichten zurück, denn es können alle Waggons abgezogen werden. Mit den neuen Waggons am Haken ziehen wir die leeren Waggons ab und schieben sie auf das Gleis Richtung Insel. Danach können die neuen Waggons zugestellt werden. Bis jedoch jeder Waggon seinen endgültigen Standplatz hat sind viele vorsichtige (Bildröhren) Rangierbewegungen notwendig, wobei jedes Mal der Bahnübergang gesichert werden muß. Dabei kann es passieren, daß die Lok genau mitten auf der Straße längere Zeit stehen bleibt, was den autofahrenden Zeitgenossen die warten müßen gar nicht paßt. Und die ihren Unmut mit eindeutigen Gesten äußern. Bald ist es geschafft und wir schieben die leeren Waggons zurück zur auf das zweite Gleis der Insel und nehmen die dort wartenden 3 Hbbis Waggons mit. Sie sind für eine große Druckerei bestimmt wo mehrere Tageszeitungen gedruckt werden und sind mit großen Papierrollen beladen.

Vor der Weiche werden die 3 mitgebrachten Hbbis abgekuppelt und wir fahren in den Anschluß um die leeren Waggons herauszuholen und kuppeln diese an die vollen. Weil der Anschluß kurz ist und es bergab geht, werden die Luftleitungen auch gekuppelt und nachdem der Hauptluftbehälter Druck wieder 5 Bar erreicht hat schieben wir die ganze Fuhre in den Anschluß. Hier gibt es eine gute Kantine in der wir gern gesehene Gäste sind. Deshalb Maschine abstellen, Handbremse anziehen und auf gehts zum 2.Vesper.
Gut gestärkt geht es dann später zurück zur Insel. Dort stellen wir der Spedition 2 Waggons zu und holen bei der Pressenfabrik einen Waggon ab den wir in einen anderen Anschluß der Pressenfabrik auf dem Gelände des ehemaligen AW Esslingen bringen. Dann geht es Lokomotive voraus zurück zum Bahnhof. Dort werden die Wagons noch auf verschiedene Gleise verteilt.
Es ist inzwischen 11 Uhr 30, ich mache den Abschlußdienst und stelle die Lok ab. Mit dem Rangierpersonal gehe ich dann um 12.30 zum Personenbahnhof und mit der S-Bahn fahren wir nach Plochingen. Ich gehe inīs Bw, dort ist um 13 Uhr 31 Feierabend und mit dem Auto geht es nach Hause.